Matthias Beckmann

Dieses und jenes und anderes auch
2018
Zeichentrickfilm
8:52 Minuten
Musik: Adrian Rovatkay
Ausführende: Adrian Rovatkay, Gergely Bodoky, Christine Rosin und Patrick Sepec haben Klavier, Flöte, Geige und Cello gespielt.
Ton: Manou Bouillon
Filmtechnik: Matthias Daenschel

Auf die Frage was ich gerade mache, gibt es meist eine zutreffende Antwort, mit der ich mich zugleich nicht unnötig festlege: Dieses und jenes. Selten macht man nur eine Sache. Immer gibt es noch anderes zu tun, und auch der Alltag will bewältigt werden.

Wenn ich an einem Zeichentrickfilm arbeite, gibt es eine ungefähre Vorstellung, worum es geht und wie ich vorgehen will. Da ich die Trickfilme zunächst für mich mache, in der Hoffnung, dass sich andere dafür interessieren werden, geht es vor allem um das Zeichnen selber, die Freude, dass sich die Linien bewegen und etwas in Bewegung setzen. Ich arbeite ohne Drehbuch oder Storyboard, denn ich will nicht beim Zeichnen ein ausführender Arbeitssklave werden. Ich möchte sehen, wohin mich der Prozess führt. Es gibt keine durchgehende Handlung, keine Hauptdarsteller und keinen aktuellen gesellschaftlichen Diskurs. Das Thema ist meist eine formale Idee. Hier zum Beispiel diese: Es wird ein Episodenfilm. Jede Episode ist für sich abgeschlossen und hat eine eigene Regel.

Mal dreht sich eine Scheibe (“Drehmoment”), die an visuelle Trickmaschinen erinnert, die man vor der Erfindung des Films verwendet hat. Mal wird ein Objekt schrittweise so reduziert, dass es zum Verschwinden kommt (“Die gebogene Bank”). Verschwinden kann auch eine Folge der Auflösung von Formen sein, die wir etwa bei starkem Regen wahrnehmen (“Japanerin im Regen”). Das plötzliche, aber vorher angekündigte Fehlen der Gesichtszüge, scheinbar verursacht durch das Verdecken mit den Händen, kann zum Verlust der Identität führen (“Ein Knabe verliert sein Gesicht”). Die Folgen von Haarwuchsmitteln erleben wir in einer slapstickartigen Episode (“Bartwuchs”), deren Personal aus der Stummfilmzeit stammen könnte. In einem anderen Fall (“Vom Auto zum Pool”) entwickeln sich aus einem Spielzeugauto, Plastiktieren und einem Totenschädel Metamorphosen, die in einer abschließenden Handlung münden: ein Menschenwesen steigt aus einem Pool. Mal bewegt sich ein Hintern (“Hintern”). Mal arbeite ich mit komplizierten gegenläufigen Bewegungen, um zu erreichen, dass Autos von links nach rechts, andere von rechts nach links fahren, wobei gleichzeitig durch eine fiktive Kamerafahrt der Hintergrund an uns vorübergleitet (“Autofahrt durch Stadt und Land”). Die Auto-Episode, die im Realfilm relativ einfach zu lösen ist, erfordert bei einem Trickfilm, der aus einzelnen Zeichnungen zusammengefügt ist, besondere Planung. Zumal ich nicht mit Folien, Bildebenen oder Computeranimation arbeite. Jedes Blatt muss komplett neu gezeichnet werden.

Ein wichtiger künstlerischer Bezugspunkt ist der frühe Zeichentrickfilm. Besonders mag ich “Gertie The Dinosaur” (1914) von Winsor McCay. Die Trickfilmpioniere wollten überraschen und unterhalten. Kunst war nicht intendiert, und das erlaubte große Freiheiten. Diesen Filmen ist die Lust an wundersamen Ereignissen und am Spiel mit den Möglichkeiten des neuen Mediums anzumerken. Meist waren es kurze Filme, humorvoll, überraschend, direkt, die häufig ihre eigene Entstehung aus dem Zeichenprozess reflektierten, ohne jemals akademisch zu wirken.

Meine Trickfilme sind ein künstlerischer Ausgleich für meine Arbeit als Zeichner, der vor allem an umfangreichen, dokumentarischen Serien über ausgewählte Orte und Themen arbeitet. Im Trickfilm erlaube ich mir Surreales, Groteskes, Albernes und alles, was mit Bewegung zu tun hat. Und dennoch bin ich immer der gleiche Zeichner. Stets geht es darum, klar, direkt, ohne Vorzeichnung, Linien auf dem Papier zu ziehen und eigene Formen zu finden für Dinge und Situationen. Zeichnen ist für mich abbildend und realistisch und zugleich höchst abstrakt.

Adrian Rovatkay ist ein vielseitiger Künstler, Fagottist im Bereich der Alten Musik, Komponist und Maler. Für musikalische Experimente spielt er zuweilen auf höchst unterschiedlichen Instrumenten. Auch ein Miniaturkinderklavier aus Plastik verschmäht er nicht, wenn es musikalisch passt. Er hat für experimentelle Bühnenproduktionen komponiert. All das prädestiniert ihn für die Arbeit als Filmmusiker. Dabei ist die Musik zu “Dieses und jenes und anderes auch” seine erste Filmmusik.

Unsere Absprache bestand darin, dass ich mir für jede Episode einen eigenen musikalischen Ausdruck gewünscht habe. Ich sprach auch von meiner Inspiration durch den frühen Zeichentrickfilm und dessen Verbindung zu Varieté und Zaubervorstellung. So gibt es neben freien musikalischen Phantasien Anklänge an Jahrmarktsmusik und alte Schlager (“Berliner Luft”).

Ich kann als Künstler gut arbeiten, wenn man mir Freiheit lässt und mich nicht während des Prozesses kontrolliert. Adrian Rovatkay hat in Ruhe seine musikalische Arbeit gemacht, und ich durfte am Ende das Ergebnis hören. Überraschung, vor allem wenn es eine schöne Überraschung ist, ist eine gute Sache.