Betina Kuntzsch - Lines Fiction ★ Zeichnung & Animation ★

Betina Kuntzsch

Lines Fiction: Deine Animationen mit minimalen Formen, geometrischen Strukturen und Lichtmustern entstehen vollständig durch das Arbeiten mit Computerprogrammen, die eigentlich für Grafiker entwickelt werden. Wie setzt du die Programme künstlerisch ein?

Betina Kuntzsch: Lange habe ich für Filmproduktionen und Fernsehen gearbeitet, da werden die Programme eingesetzt, um möglichst perfekte Animationen oder Retuschen zu machen. In der Arbeit passieren immer wieder Fehler, die manchmal sehr schöne, grafische Bilder ergeben. Da beginnt es interessant zu werden, bei der Bildstörung, den Pixelfehlern, Artefakten usw. Da arbeite ich so eine Art Materialwiderstand des immateriellen Mediums Video heraus.

Eine andere Möglichkeit ist die Reduktion. ich setze die High-End-programme ein, um ganz schlichte Animationen zu machen. Eine kurze Linie, ein Strich, der sich vervielfacht, bewegt und diese Bewegung zeitversetzt auf die anderen Linien überträgt. Auch da spiele ich viel mit dem Zufall. Manches lasse ich stehen, anderes verwerfe ich- wie bei der Arbeit mit Bleistift auf Papier.

Ich zeichne manchmal mit einem Pen auf einem Grafiktablett, also einem elektronischen Stift. Das Gestische ist wichtig, das kann ich auch für Bewegungspfade einsetzen. Ich kann die Zeichnung animieren, also entstehen, sich verwandeln und verschwinden lassen. Außerdem kann ich natürlich auch Zeichnung simulieren, z.B. mit Partikelprogrammen, die sonst für die Simulation von Schnee, Rauch oder Feuerwerk verwendet werden.

So sind die PIXELZEICHNUNGEN entstanden. Das sind Partikel, die sich entlang von Sinuskurven bewegen. Die Partikel entstehen und verändern sich und die Kurven werden ebenfalls gestört.

Wichtig ist immer der Rhythmus, also dass nicht nur die Linie oder das Bild eine Spannung hat sondern auch die Bewegung. Sonst wird das Ganze zum Bildschirmschoner und tendenziell langweilig und durchschaubar.

Bei den drei Monitoren und drei unterschiedlich langen Animationen ergeben sich immer neue Kombinationen des Gesamtbildes der Installation. Das ist ein ganz einfacher „Zufallsgenerator“. Und die Zeichnung setzt sich in den Kabeln auf dem Boden fort. Das ist ein ziemliches Gewirr von unterschiedlichen Strippen für die Monitore, die Zuspieler, Adapter, Verteilerdosen. Die Technik verstecke ich sowieso ungern, ich bin kein Freund von großen Kästen. Kabel kann man sehen. Wenn die Kunst stimmt, werden sie unwichtig.

Für die Arbeiten der Serie RICHTUNGEN und TAG z.B. habe ich einen Partikelgenerator an eine handgezeichnete Linie angehängt. Dadurch entstehen diese Gebilde, die an Kondensstreifen erinnern. Je nachdem, wie schnell die zeichnerische Bewegung ist und welche Eigenschaften ich den Partikeln zuordne (Größe, Farbe, Eigenbewegung, Luftwiderstand etc.) entstehen verschiedene Gebilde, die sich auch unterschiedlich entwickeln. Sie erinnern an Kondensstreifen oder Aquarell oder Kreidezeichnung. Die Bewegung stoppt am Bildrand.

Einzelbilder der Animation habe ich auf Kupferplatten belichtet und im klassischen Tiefdruck auf Papier gedruckt. In den Photoradierungen (so der Fachbegriff) greife ich auch wieder das Thema Bildstörung auf. Es interessiert mich, die Medien zu verschränken, vom Papier zum Bewegtbild und dann zum Videostill oder umgekehrt oder weiter.

In meiner Ausbildung- ich habe Buchgestaltung an der HGB Leipzig studiert- habe ich mit den klassischen Drucktechniken gearbeitet, Holzschnitt, Lithografie, Siebdruck und Radierung. Da bin ich später immer wieder darauf zurückgekommen, besonders die Radierung fand ich spannend. Da kann ich Belichtung und Kaltnadel und Aquatinta und Computerdruck zusammenbringen. Obwohl zum Diplom und die Jahre danach der Computer interessanter war. Als ich Diplom machte, gab es an der Hochschule noch keinen Kopierer. In der DDR existierten aber vereinzelt die ersten Grafikcomputer aus dem Westen, ein Kollege meiner Mutter hatte einen Amiga, da konnte man mit der Mouse zeichnen und dann Farben durchrotieren lassen, das war meine erste Computeranimation. Beim DDR-Fernsehen bildete sich eine „Videowerkstatt“, da konnte man die Technik nachts für künstlerische Projekte nutzen- damals gab es ja nachts noch eine Sendepause. Und so konnte ich zum Diplom ein Video mit Animationen machen- meine erste Videoarbeit „Ich saß auf einem Steine“ (1988), die digitale und analoge Animation zusammen bringt.

Interessant ist auch das Musikalische. Die Animationen hört man manchmal innerlich klacken und klirren, obwohl sie stumm sind. Man ergänzt da schnell eine Soundebene, vielleicht, weil das zu unseren Seh- und Hörgewohnheiten dazu gehört. In der Zusammenarbeit mit Musikern enstehen dann oft ganz andere, überraschende Kompositionen. So gibt es ein Stück mit Streichinstrumenten, komponiert von einem jungen rumänischen Komponisten, Gabriel Mălăncioiu, zu meiner Arbeit „Meshes“, live aufgeführt beim InnerSound-Festival in Bukarest, 2017.

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