Performance & Zeichnung - Lines Fiction ★ Zeichnung & Animation ★

Performance & Zeichnung

Lines Fiction: Performance Art hat sich ja seit ihrer Entstehung in den 1960er Jahren immer wieder neu definiert. Was zeichnet für euch eine Performance aus?

Katja Pudor: Meiner Auffassung nach wird ein künstlerischer Prozess durch die unmittelbare Präsenz der Künstlerin und durch die Anwesenheit von Publikum zu einer Performance.

Stella Geppert: Es geht für mich um die Bewusstmachung eines bestimmten Moments. Bei meiner Performance werden meist Räume des Porösen, des Zerbrechlichen, des Eintauchens und der Hingabe zur Überwindung eines Egos geschaffen – mittels organischer Übertragungen, wie Rhythmik der Atmung, Plastizität des Riechens, Gähnens, Lachens, Weinens.

Nicole Wendel: Performance ist immer etwas Lebendiges und entsteht in einem bestimmten Blickfeld, aus einem zuvor von mir erarbeiteten Score, dem ich mich widme.

Lines Fiction: Dann braucht eine Performance also ein anwesendes Publikum?

Nicole Wendel: Nicht zwingend. Eine Performance stellt jedoch immer auch einen Zusammenhang zum Sehen bzw. Wahrnehmen her. Wo beobachte ich mich im eigenen Agieren, wo bin ich Zeugin und gleichzeitig Performerin.

Katja Pudor: Eine performative Arbeit ist konzeptionell darauf ausgerichtet, dass das Publikum passiv oder aktiv an einer Performance teilnimmt, finde ich.

Nicole Wendel: Das Setting ist die Grundlage für jede Performance, und die kann dann auch ohne Publikum ausgeführt werden. Sowohl der Ablauf, als auch das Ergebnis sind dann performativ.

Stella Geppert: Ich denke, ohne Empfang keine Sendung. Der Körper ist immer anwesend. Ich bin zu Gast und sie sind zu Gast, und wir sind als Gast im Raum zusammen anwesend.

Lines Fiction: Nehmen wir an, es ist kein Publikum dabei, was unterscheidet eine Performance dann von einem anderen Herstellungsprozess beim Zeichnen?

Nicole Wendel: Ich würde hier vor allem die Art der Konzentration als wesentlichen Unterschied sehen. Wenn ich vor Publikum und mit dem Publikum zeichne, sind alle Zwischenschritte und Regungen Teil der Performance, und selbst das Bewegen eines Blatt Papiers beim Umblättern bekommt seine spezifische Aufmerksamkeit.

Stella Geppert: Ohne Publikum wird die Zeichnung eine Art „Archäologin der Präsenz“, in der energetische Zustände des Körpers und räumliche Zusammenhänge mit dem Material und Trägermaterial verhandelt werden. Gesten und Berührungen werden im Abdruckverfahren als Spuren sichtbar.

Katja Pudor: Ist kein Publikum dabei, kann ja auch eine Filmaufnahme entstehen, und die Performance geschieht dann entweder zur Dokumentation oder zu einer künstlerischen Arbeit im Medium Film.

Lines Fiction: Was ist also das Wesentliche in eurer Performance mit Zeichnung?

Katja Pudor: Die Performance als Arbeitsformat erlaubt es mir, die bildnerischen Prozesse in ihren zeitlichen und räumlichen Dimensionen ganz unmittelbar offen zu legen. Ich arbeite mit einem Setting, in dem es möglich ist, die Zeichnung immer wieder zu öffnen und das kompositorische Vorgehen flexibel zu halten.
2020/21 habe ich während des Lockdowns die Klaviersonaten von Ludwig van Beethoven in Zeichnung übersetzt. Seitdem ist Musik/Sound fester Bestandteil meiner performativen Arbeit.

Stella Geppert: Ich arbeite mit Körperprothesen und Körperkonstruktionen und stelle so die Frage, wie wir kommunizieren können, ohne die Sprache zu verwenden. Meine Zeichnungen sind taktile Berührungen, die unbewusst bis beiläufig entstehen, zum Beispiel beim Reden, Lesen, Schlafen, und sie werden so zum Speicher von energetischen Zuständen.

Nicole Wendel: Für mich ist die ganzheitliche sinnliche Wahrnehmung wesentlich. Ich lausche also nicht nur mit den Ohren, sondern mit dem ganzen Körper, dem Geist und der Seele. Das Zuhören lässt Inhalt und Form entstehen. Der Klang spielt sich dabei im Raum meines Körper und im Raum, den wir teilen ab. Deshalb betrachte ich meine performativen als auch zeichnerischen Arbeiten als Echtzeit-Kompositionen.

Lines Fiction: Und wo liegt für euch das Spannende im Moment des Zeichnens vor Publikum?

Katja Pudor: Das Unmittelbare einer Performance ist das Spannende und auch das Aufregende. Jede meiner Handlungen ist für den Zuschauer zu sehen, und meine Konzentration ist immens.

Stella Geppert: Spannend ist für mich, wenn es sich nicht um einen erkennbaren Zeichnungsprozess im traditionellen Sinne handelt, sondern die Performances sich mit zutiefst menschlichen Bedürfnissen der Kommunikation verbaler und nonverbalen Art beschäftigt und heilende bis emphatische Momente auslöst.

Nicole Wendel: Es ist vor allem das Entstehen aus der momentanen Wahrnehmung heraus. Das Generieren von Spuren, die ich in diesem Falle auch als Zeichnung oder Abreibung verstehe, ist dabei die direkteste Verbindung zu dem, was gerade passiert ist. Es entstehen für mich lesbare Referenzen, die von Lebendigkeit, Begegnung, Verbindung, Kommunikation und dem Leben selbst erzählen.

Lines Fiction: Was bedeutet euch dabei der Umgang mit Zeit und dem Zeichenprozess?

Nicole Wendel: Zeit und Dauer sind wichtige Aspekte für die Komposition oder Dramaturgie. Meine Performances dauern meist 40 Minuten. Das hat sich für die Konzentration der Performerin und der Gäste gut bewährt.

Katja Pudor: Ich habe versucht Formate zu finden, die sich nicht um performance – taugliche Zeitfenster kümmern und habe mehrteilige Performances konzipiert.

Stella Geppert: Die Dauer in meinen Performances wird zuerst über die dem Körper innewohnenden Prozesse bestimmt. Hier spielt allem voran die Atmung ein große Rolle, aber auch das Gleichgewichtsorgan, die Zeitlichkeit von Resonanz im Körper und im Raum, sowie die biologischen Rhythmen der Organe. In der Performance ist mir eine durch Empathie sich langsam aufbauende kommunikative Räumlichkeit sehr wichtig. Meine Performances dauern daher von 18 Minuten bis zu 6 Stunden.

Nicole Wendel: Ich denke gerade auch viel über länger andauernde Performances nach, weil das Entstehen eines bestimmten Momentums aus einem Kontinuum folgt, was wiederum Zeit braucht. Manchmal ist es gut, diesem Kontinuum länger zu folgen, um noch mehr in die Tiefe gehen zu können. Oder auch das Warten als Grundlage für das Entstehen von Neuem und Unbekannten zu nutzen.

Lines Fiction: Wie seid ihr überhaupt zu eurem Verfahren gekommen?

Nicole Wendel: Für mich war das gestische und spontane Zeichnen schon immer eine Praxis, die ich bereits vor meinem Kunststudium durch meinen damaligen Bauhaus-inspirierten Zeichenlehrer kennenlernte. Er verband somatische Übungen, wie Atem- und Hörübungen mit dem Zeichnen. Dieser Zugang ermöglichte mir einen intensiven Kontakt zu der Verbindung meines Körpers mit zeichnerischen Vorgängen.

Stella Geppert: Zur Bildhauerei bin ich durch den Tanz gekommen, den ich in Paris durch Saburo Teshigawara auf elementarer Weise miterlebt habe. Als performative Bildhauerin entwickle ich wie bei jeder Formentwicklung spezifische Verfahren. Wie eine zeichnerische Form entsteht, ist Teil der inhaltlichen Arbeit. Mit jeder Performance entwickle ich eine spezifische bildhauerische als auch tänzerische Methode.

Katja Pudor: Bei mir entstand die Performance mit der Installation. Ich wurde immer wieder zum Ausstellen einer Installation eingeladen, die sich jeweils aus meinem Fundus speiste. Es gab jedoch meist kein Budget, um die Papierarbeit zu transportieren. Da habe ich meine Arbeit den Bedingungen angepaßt. Ich habe Papier in den Ausstellungsraum liefern lassen und die Arbeit dann direkt vor Ort entwickelt.

Nicole Wendel: Meine heutigen Performances sind stark durch die langjährige Erfahrung von Tanzimprovisation im zeitgenössischen Tanz geprägt. Für mich entsteht heute jede Form von Zeichnen aus einem direkt empfundenen Impuls und der Wahrnehmung der Bewegungsdauer heraus.

Lines Fiction: Was ist schlussendlich das wesentliche Ergebnis eures künstlerischen Verfahrens – die aktuelle Performance, die Zeichnung oder die filmische Aufzeichnung?

Katja Pudor: Die Performance und die Zeichnung sind gleichberechtigte Arbeitsformate. Die Zeichnung ist der Ausgangspunkt für ein performatives Vorgehen. Aber im letzten Jahr hat sich meine Arbeitspraxis verändert: die über mehrere Tage oder Wochen entstandene Zeichnung wird im Ausstellungsraum final installiert. Dann ist sie eine eigenständige Zeichnung. Auf die zuvor geschehene Performance wird lediglich in der Werkangabe verwiesen.

Nicole Wendel: Es gibt Zeichnungen und Filmaufzeichnungen, die aus Performances entstanden sind. Diese Zeichnungen lassen sich hinterher auch ohne die Performance, quasi als eigenständiges Werk, erfahren und lesen. Es ist für mich wichtig, dass sie wiederum in einem weiteren Prozess als Installation mit und an einem neuen Ort positioniert werden. Man kann dies auch als einen weiteren Schritt der Komposition verstehen, der über die ursprünglich statt gefundene Performance hinausgeht und sich durch die neuen Gegebenheiten erweitert.

Stella Geppert: Bei mir hängt das ganz von dem künstlerischen Konzept der Performance ab.

Lines Fiction: Ist also die entstandene Zeichnung ein eigenständiges Ergebnis oder ist sie nur in Verbindung mit der erlebten Performance oder der filmischen Aufzeichnung zu sehen?

Nicole Wendel: Wie bereits erwähnt, hat die Zeichnung für mich einen eigenständigen Werkcharakter. Grundsätzlich erschließt sich die Qualität einer Zeichnung gerade aus dem Speichern, Aufzeichnen und Niederschreiben einer Bewegung. Für mich ist eine Zeichnung, die dies vermittelt, lebendig. Und das sind für mich definitiv auch die Zeichnungen, die während einer Performance entstehen.

Stella Geppert: Die Zeichnung ist eigenständig und zugleich Dokumentation der Handlung selbst.

Katja Pudor: Die entstandene Zeichnung, oder auch Teile daraus, können nach der Performance eigenständige Arbeiten werden. Die Zeichnung verbleibt auf dem Boden oder als Objekt im Ausstellungsraum, oder sie wird direkt nach der Performance im Ausstellungsraum an der Wand installiert. Die filmische Aufzeichnung meiner Performance nutze ich, um meine Arbeit zu dokumentieren.

Stella Geppert: Die Videoarbeiten sind bei mir auch zumeist als eigenständige Installationen konzipiert.

Lines Fiction: Ihr arbeitet mit Partnerinnen oder Tänzern. Wie sehr tragen sie zum Entstehen und Gelingen der Performance bei, und welchen Anteil haben sie am Ergebnis?

Stella Geppert: Ich hatte 2020 das große Glück in einem Kollektiv von Choreograf:innen zu arbeiten und inzwischen finden Tänzer:innen mich, oder noch schöner gesagt, „wir finden uns“. Ich erzähle von meinen Ideen, der existenziellen Notwendigkeit des Ausdrucks, die ich immer kollektiv denke. Die von mir konzipierten Körperkonstruktionen sind der Ursprung, und geben den Rahmen des Bewegungspotentials vor. Meine Aufgabe ist es, spezifische Handlungen und Bewegungsabläufe der Dynamik des Kollektivs anzupassen. Wenn ich die choreografische Arbeit gut vorbereitet habe, dann entsteht sie von selbst.

Katja Pudor: Es gibt Projekte, die ich als Solo Performance plane und es gibt Performances, wo ich mit Tänzer:innen, Musiker:innen und Komponist:innen oder auch mit Performer:innen arbeite, die aus der Bildenden Kunst kommen. Wenn ich eine Künstlerin oder einen Künstler für ein gemeinsames Projekt interessant finde, frage ich sie an, danach gibt es ein Gespräch. Das ist die Eröffnung für einen Arbeitsraum in dem sich etwas Gemeinsames entwickeln kann. Wir sind im Prozess der Performance gleichberechtigt.
In meiner kollaborativen Arbeitspraxis gab es allerdings, neben vielen bereichernden Ereignissen, auch für mich verstörende Abläufe, die mich an Scheitern denken ließen und mich dazu bewogen, fortan nur noch Solo Performances zu konzipieren.

Nicole Wendel: In all den Performances, die ich zumeist nicht solo gemacht habe, wäre die Arbeit nicht da, wenn es die Partnerin oder den Partner nicht gegeben hätte. Das Zusammenwirken konstituiert die Arbeit entscheidend. Und genau die Verbindung, die Beziehung zueinander prägen die jeweiligen Performances und ihre Atmosphäre. Zu all meinen Kollaborateur:innen hatte und habe ich ein sehr vertrautes Verhältnis und gerade dieses Vertrauen wird auch in der Performance spürbar.


Performance Stella Geppert photo: Thomas Bruns

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Performance Nicole Wendel photo: Jörg Dedering

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