Karen Yasinsky - Lines Fiction ★ Zeichnung & Animation ★

Karen Yasinsky

Lines Fiction: Deine Animation Marie basiert auf einem Filmklassiker?

Karen Yasinsky: Marie ist nachgezeichnet und Bild für Bild animiert nach einer Szene aus Robert Bessons Zum Beispiel Balthasar von 1966. Ich habe die Szene für das Melodram in der Stimmung und die Unbeweglichkeit von Maries erstarrem Gesicht ausgewählt. Sie ist ein “ Talking Head “ im Profil mit einem unveränderlichen Ausdruck. Ich deute diesen Ausdruck als leer oder traurig. Der Dialog, der nicht recht zum Ausdruck passte ist verschwunden, stattdessen gibt es Brahms.

Lines Fiction: Wie passt die Musik zum Bild?

Karen Yasinsky: Alles was wir sehen ist der sprechende Kopf. Die Musik von Brahms bietet die Emotion.

Marie aus Zum Beispiel Balthasar fällt Entscheidungen, die sie von allem was sie liebt entfernt, und sie schließlich ums Leben bringt. Sie hat alles Vertrauen verloren.Zu Beginn wollte ich diesem Zustand durch die Figur des Domenico mit seiner Selbstaufopferung aufzeigen. Aber dann möchte ich doch vom Individuum wegführen und eine Vernetzung von allem durch ständige Veränderung und Bewegung der Bilder erzeugen. Durch Annahme des ständigen Wandels entsteht Vertrauen.

Lines Fiction: Dein Zeichenprozess in der Animation erzählt nicht nur eine Geschichte, es werden auch technische Details aus Film- und Videovorführung nachgeahmt: Bildlaufzeilen auf alten Röhrenbildschirmen, atmosphärische Störungen, Bildschnee. Am Ende geht die Zeichnung in flackernde Passagen aus einem Stummfilm über. Wie ist es zu diesem speziellen Verhältnis von Film und Zeichnung in deiner Arbeit gekommen?

Karen Yasinsky:ich habe ein ganz einfaches Verfahren, ich zeichne Bild für Bild über einem Leuchtkasten. Auch wenn das Bild sich nicht ändert zeichne ich es nochmal. Mir gefiel, dass sich wenig verändert außer manchmal die Mundbewegung. Aber die gezeichneten Linien sind nie am gleichen Platz, Zeichnen ist eine wenig exakte Form des Kopierens. Das ergibt eine formale Spannung in diesen schwankenden Bildern.

Ich habe versucht, durch Unterbrechungen eine Vorstellung von Gewalt in die Animation zu bringen, und diese Störungen als Zeichnung deutlich zu machen. Das läuft durchs Bild, pixelt und rotiert. Stroboskopeffekte pulsieren durchs Bild, die Figur Marie wird zur Grafik. Das Stück von Brahms ist ebenso manipuliert, unterbricht seine Schönheit und antwortet auf die springenden Linien und Bilder. Das ist bisweilen harsch und aggressiv und wird manchmal zur Prüfung für die Nerven.

Am Ende wollte ich einen Wechsel in den formalen Manipulationen, die der Betrachter in Emotionen umsetzen soll. Ich wollte eine unmittelbar gewalttätige Szene, ohne Bezug zu irgendeiner vorherigen Erzählung und einen abrupten Bruch zu den bisherigen Wiederholungen von Maries Kopf. Die Animation Marie endet in einer dramatischen Passage aus dem Stummfilm Gösta Berlings Saga von Mauritz Stiller. Die formale Agression wird real in einer Szene mit Wölfen, die einen der ihren zerreissen. Dieser Code im Verhältnis zur gezeichneten sprechenden Marie bezieht sich nicht nur auf eine formal durch den Betrachter zu spürende Gewalt sondern steht auch für die Akzeptanz der Gewalt in der Natur, einschließlich der menschlichen Natur.
Und die Schönheit der Wölfe auf dem Eis, der Sanftmut der Pose von Marie und der elegische Klang von Brahms Komposition führt zur Möglichkeit von Erlösung in unserem Verhältnis zur Schönheit. Schönheit als eine Wahrheit.

Diese Gedanken zu meinem Vorgehen in der Animation beruhen zum Großteil auf meine Faszination mit den Filmen Robert Bressons. Für mich geht es in Marie um die Figur in seinem Film, aber auch um Bressons Fähigkeit Lebensfreude zu vermitteln oder auf etwas zu verweisen, das außerhalb von uns existiert. Dabei entspringt dies alles Filmen, die zutiefst pessimistisch sind und sich keine Illusionen über den menschlichen Charakter machen.


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